Freitag, 10. September 2010

Franz Alt: Merkels Restrisiko...

... ist ein Doppeltes, wie der bekannte deutsche Publizist in seinem Kommentar zur vermeintlichen Energierevolution in Deutschland festhält. Was die Bundeskanzlerin auf den Weg gebracht hat, ist Müll - Atommüll. Und gleichzeitig eine Gefährdung der an sich guten energiepolitischen und -wirtschaftlichen Ausgangsposition Deutschlands.


Albert Einstein hat einmal gesagt: „Das größte Problem von Experten ist, ein Problem zu Ende zu denken.“ Durch den Rat von Energieexperten produzieren die Industriestaaten seit Jahrzehnten Atomstrom, aber kein einziger Atomexperte oder Atompolitiker kann uns sagen wohin mit dem atomaren Müll. Trotzdem hat die schwarz-gelbe Bundesregierung soeben beschlossen, die deutschen AKW im Schnitt 12 Jahre länger laufen zu lassen als bisher gesetzlich vorgesehen.

Das aber heißt: Nochmals viele tausend Tonnen zusätzlichen, gefährlichen Atommüll, der etwa eine Million Jahre strahlen wird und damit alles Leben auf diesem Planeten gefährden kann. Dass sich christlich nennende Parteien diese schöpfungswidrige Politik mitmachen ist eine rational nicht nachzuvollziehende ethische Bankrotterklärung von CDU und CSU. Bei der FDP überrascht diese Haltung etwas weniger.

Richtig ist: Eine Abschaltung von heute auf morgen ginge nicht. Das hat ja auch niemand verlangt. Aber noch längere Laufzeiten als bis 2022 wie von der rot-grünen Bundesregierung 2001 gemeinsam mit der Atomwirtschaft vereinbart, sind energietechnisch einfach unnötig und gesamtwirtschaftlich unsinnig. Eine Brücke von 12 Jahren ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien hätte völlig ausgereicht. Schon heute müssen in Deutschland an besonders sonnen- oder windreichen Tagen erneuerbare Energieanlagen abgeschaltet werden, weil insgesamt zu viel Strom im Netz ist. Und Investitionen in Neuanlagen werden oft hinausgezögert, weil die Leitungen voll sind.

Erneuerbare Energien brauchen Atomkraft und fossile Kraftwerke nur noch wenige Jahre als Brückentechnologie. Der vollständige Wechsel zu Erneuerbaren Energien ist technisch und wirtschaftlich in etwa 20 bis 30 Jahren möglich. Ich schreibe diese Zeilen nach Eindrücken auf der größten Photovoltaik-Messe der Welt in dieser Woche in Valencia. Riesige Technologie-Fortschritte und neue Speichermöglichkeiten für Ökoenergien sind zu besichtigen. Weltweit wächst der Anteil der Erneuerbaren viermal so schnell als es die Experten noch vor wenigen Jahren vorausgesagt hatten. Wir erleben hier zurzeit eine Entwicklung wie am Ende des letzten Jahrhunderts bei den Telekommunikations-Technologien.

Alles spricht dafür, die 100%-ige Wende zu erneuerbaren Energien weiter zu beschleunigen und alles spricht dagegen, diese Wende aufzuschieben wie das die Bundesregierung jetzt beschlossen hat. Innerhalb von wenigen Jahren ist Deutschland durch sein Erneuerbares-Energien-Gesetz global zum Vorbild bei der Produktion von Ökoenergie-Technologien geworden. Knapp 50 Länder haben das deutsche Gesetz übernommen – darunter China, Indien und Südafrika. In 10 Jahren wuchs der Anteil von Ökostrom hierzulande von 4 auf 17 %. 2009 haben private Investoren und Stadtwerke bereits weit mehr Geld in Erneuerbare Energien gesteckt als die alten Energieversorger in ihre konventionellen Anlagen.

Schon über 100 Städte, Gemeinden und Landkreise haben beschlossen, ihre Stromversorgung bis 2025 zu 100% auf erneuerbare Energien umzustellen – darunter die Millionenstadt München. Ein industrieller Schub mit 300.000 neuen Arbeitsplätzen wurde ebenso ausgelöst wie Kostensenkungen bis zu 70%. Ostfriesland gewinnt schon heute über 90 % seines Stroms ökologisch und zwar preiswert. In etwa drei Jahren wird in Deutschland eine Kilowattstunde Solarstrom vom Dach billiger sein als der Atomstrom aus der Steckdose. Warum aber gefährdet die Bundesregierung jetzt diese positive Entwicklung mit riesigen Exportchancen für deutsche Spitzentechnologien in die ganze Welt? Es gibt nur eine rationale Erklärung: Unsere Regierung ging vor dem Druck der Atomwirtschaft in die Knie. Den sogenannten „Atomkonsens“ vom letzten Sonntag kommentierte das „Handelsblatt“ als „Sieg für Großmann“, den RWE-Chef.

Atomkraftwerke oder auch neue Kohlkraftwerke sind keine Brücken in eine saubere Energiewirtschaft, sondern Barrieren. Mehrkosten für die Erneuerbaren Energien von heute sichern die Zukunft und vermeiden immense Folgekosten - wie durch Atommüll oder Klimazerstörungskosten – für die künftigen Generationen. Sonne und Wind schicken keine Rechnung, sondern sind Geschenke des Himmels, während die zu Ende gehenden alten fossil-atomaren Energieträger immer teurer werden. Dies ist schon mittelfristig der unschlagbare ökonomische Vorteil der künftigen ökologischen Energieversorgung.

Es sind also weder technische noch wirtschaftliche Gründe, die den 100%-igen Wechsel zu Erneuerbaren Energien im Wege stehen, sondern allein der Widerstand der Energiekonzerne und eine mutlose und verängstigte Politik in Berlin, Stuttgart und München. Auf lokaler Ebene haben fortschrittliche Stadtwerke wie in München und Leipzig, Hannover und Kassel, Nürnberg und Schwäbisch Hall schon seit Jahren bewiesen, dass der energetische und damit auch wirtschaftliche Fortschritt ins Solarzeitalter weit schneller möglich ist als die typischen deutschen Bedenkenträger in Regierung und Energiewirtschaft es wahrhaben wollen. Aber genau diese fortschrittlichen Stadtwerke werden jetzt bestraft, weil sie im Vertrauen auf das bisher geltende Atom-Ausstiegsgesetz massenhaft in erneuerbare Energien investiert haben.

In den letzten Jahrzehnten haben die Atomkraftwerksbetreiber Milliarden Subventionen erhalten. Außerdem wurde ihnen 2001 von rot-grün zugestanden, dass sie keine Steuern für atomare Brennstoffe zahlen müssen, dass ihnen die steuerfreien Rückstellungen für die künftige Endlagerung von Atommüll (derzeit rund 30 Milliarden Euro) zur freien Verfügung stehen und dass AKW auch künftig nicht realistisch versichert werden müssen. Damit haben die Atomkonzerne – ähnlich wie die Kohlewirtschaft - Milliarden-Vorteile gegenüber anderen Energieträgern und können „preiswerten Atomstrom“ anbieten. Das Verhalten der Bundesregierung als verlängerter Arm der Atomwirtschaft ist nicht nur ein Sicherheitsrisiko für Millionen Menschen und die Umwelt, es ist auch ökonomisch kurzsichtig und demokratiegefährdend, weil es das Vertrauen in politische Institutionen untergräbt.

Zwei Drittel der Deutschen wolle keine längeren Laufzeiten von AKW, 91 % fordern ein stärkeres politisches Engagement für Erneuerbare Energien und nur noch 19% sind mit dem bisherigen Engagement für Erneuerbare Energien zufrieden. Angela Merkel hat jetzt ein doppeltes Restrisiko: Beim nächsten Atomunfall hat ihre Regierung ein großes Problem und wahrscheinlich hat schwarz-gelb bei der nächsten Wahl einen möglichen Sieg endgültig verspielt.
Quelle:

© Franz Alt 2010 / Sonnenseite

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