Samstag, 15. Dezember 2012

Ökostrom stabilisiert die Netze

Anders als befürchtet erhöht die Integration vieler kleiner Wind-, Sonnen- und Biogaskraftwerke die Gefahr eines Blackouts nicht. Im Gegenteil: Je feinmaschiger das Stromnetz wird, desto robuster reagiert es auf den Ausfall einer Leitung. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen anhand von Computersimulationen - wie das neue Nachhaltigkeitsportal der Wirtschaftswoche berichtet.

Die Forscher um den Projektleiter Marc Timme warnen Politiker und Netzbetreiber vor der Annahme, die geplanten Stromautobahnen, die vor allem den Windstrom aus dem Norden in die Verbrauchszentren im Süden Deutschlands schaffen sollen, würden das Netz stabilisieren. „Damit wird nicht automatisch alles gut.“

Die Max-Planck-Experten erklären das anscheinende Paradoxon an einem bekannten Phänomen aus dem Verkehr. Wird eine Autobahn verbreitert, benutzen sie auch Autofahrer, die vorher andere Wege gefahren sind. Schon nach kurzer Zeit führt der zusätzliche Verkehr wieder zu Staus.
Ähnlich verhält es sich mit den Stromautobahnen. Weil der Strom bevorzugt über die neue Abkürzung fließen will, blockiert es sich am Ende selbst. Statt sich zu verbessern, verschlechtert sich der Transport von Watt und Ampere. Schlimmer noch: Die Gefahr steigt, dass das Leitungssystem an diesem Engpass aus dem Takt gerät und das Netz zusammenbricht.
Klar ist, dass die Strominfrastruktur im Zuge der Energiewende umgebaut werden muss. Statt weniger Großkraftwerke, die nah bei den Abnehmern stehen, muss es immer mehr Klein- und Kleinstkraftwerke miteinander verbinden, die aus Wind, Sonne und Biomasse Elektrizität gewinnen. Hinzu kommen die neuen Strecken für den Windstrom von den Küsten. Kritiker befürchten, die höhere Komplexität und die unstete Einspeisung des grünen Stroms würden die Stabilität der Netze gefährden und vermehrt großflächige Blackouts heraufbeschwören. 

Die Simulation der Göttinger Forscher zeigen etwas anderes: In einem dezentralen Netz kann sich der Strom Ausweichrouten zum Verbraucher suchen, wenn eine Leitung überlastet ist. „Es ist daher grundsätzlich leistungsfähiger“, sagt Timme. Umgekehrt gibt es in einem Stromnetz, in dem große Kraftwerke dominieren, mehr kritische Verbindungen, von denen die Stabilität des gesamten Systems abhängt. Fällt nur eine dieser Leitungen aus, kommt es zum Blackout.

Das klassische Beispiel dafür ist der letzte große Stromausfall am 4. November 2006. Damit ein neuer Kreuzfahrtriese die Papenburger Meyer Werft über die Ems in Richtung Nordsee verlassen konnte, schaltete der Netzbetreiber sicherheitshalber eine 380-Kilovolt-Hochspannungsleitung über den Fluss ab. Weil er sich darüber mit anderen Stromtransporteuren nicht genau genug abgestimmt hatte, standen weite Regionen in Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Österreich und Spanien Augenblicke später ohne Elektrizität da. In einem stark dezentralisierten Netz könnte so etwas nach den Berechnungen der Max-Planck-Wissenschaftler kaum passieren.

Allerdings haben sie kurzzeitige heftige Schwankungen des Wind- und Sonnenstromangebots in ihren bisherigen Simulationen noch nicht berücksichtigt. Das wollen sie jetzt in einem Projekt mit dem Münchner Technologiekonzern Siemens und Experten der Universität Oldenburg nachholen.

Quelle: Wirtschaftswoche Green

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